¬ Anna Ehrenstein
In ihrer Praxis arbeitet Anna Ehrenstein an der Schwelle zwischen Pop- und Hochkultur und überschreitet diese, wobei sie häufig deren Überschneidungen und Unterschiede sowie die Vorstellung eines "wahren oder authentischen Selbst" in Frage stellt. Ehrensteins Videoarbeit "Real Thomas Metzinger" scheint einmal mehr abzustecken und zu hinterfragen, wo die Empfindlichkeiten unserer Kultur liegen, dieses Mal in Bezug auf ihre so genannte Nasenoperation, eine der häufigsten Schönheitsoperationen unserer Zeit. Und in der Tat, wie Ehrenstein in ihrem Essay "Cosmetic Policing", in Progressive-Queer-Feminist-Harness-Sneaker-Armgrube-Haar-Army-Epicenter-Berlin feststellt, erregt das offene Zeigen der Anzeichen einer Schönheitsoperation die Gemüter. Vom Vorwurf, sich an die Schönheitsnormen der White Supremacy zu halten, bis hin zu Versuchen der ungefragten Rechtfertigung durch die Erwähnung von Verletzungen in der Kindheit: Jeder scheint sich wohl zu fühlen, wenn es darum geht, einen weiblichen Körper zu kommentieren und zu diskutieren – letztlich zu kontrollieren. Das ist doch ziemlich überraschend, oder? Ehrenstein mischt Bilder von ihrer frisch bandagierten Nase, z.B. in ihrem Krankenhausbett, beim Einkaufen oder bei einem DNA-Test, mit Bildern, die über Deep-Fake-Video-Apps produziert wurden. Wir sehen Aufnahmen von Oprah Winfrey oder Elvis Presley als Meme, lächelnd, grinsend und grimassierend, überlagert von Zitaten aus dem Buch "Der Ego-Tunnel" des Nahwissenschaftlers Thomas Metzinger, in dem er das "Selbst" als ebenso virtuell beschreibt wie unsere Realität. "Und ja, es gibt eine objektive Realität", sagt eine deep-fake Aziza al-Yousef, Saudi-Arabische Frauenrechtlerin und Akademikerin in dem Video. Ehrenstein scheint zu bezweifeln, dass es jemals ein authentisches Selbst gab oder gibt.
Vitrine
Real Thomas Metzinger (2019)
Ku’damm Cut, 2021
Aufgewachsen zwischen Deutschland und Albanien, kreist Anna Ehrensteins transdisziplinäre künstlerische Praxis um Realitäten und Reflexionen über migrationsbezogene materielle Kultur und diasporische Narrative. Während ihre Mutter ein Arbeitsvisum erhielt, verließ ihr Vater Deutschland, nachdem ihm das Asylverfahren verweigert wurde, und fing in Tirana neu an. Diese biografische Besonderheit und das Aufwachsen zwischen zwei sehr unterschiedlichen Gesellschaften auf dem als europäisch konstruierten Kontinent weckten ihr Interesse an der Nekropolitik der Migration. Im Mittelpunkt ihrer Arbeit steht das Nachdenken über die Perspektive und die materielle Kultur der Peripherie, vernetzte Bilder und Ökologien. Die Materialisierung immaterieller Daten und des Bewusstseins in kreisförmigen Glitch-Assemblies ist ebenso Teil ihres Installationsprozesses wie Texte und das geschriebene Wort. Sie arbeitet mit einer Vielzahl von Gruppen an gemeinsamen künstlerischen Projekten und glaubt an die radikalen Möglichkeiten des kollektiven Entlernens.