¬ Dafna Maimon
"Wenn ich die Zehen meiner Freund:innen betrachte, – die ich porträtiert und in Gefäße geformt habe, aus denen man trinken kann –, denke ich über die poröse Intimität von Freundschaft nach, wie Freund:innen sich gegenseitig anstecken, beeinflussen und formen. Mit ihren Zehen vor meinem geistigen Auge wird mir klar, dass ich lieber durch meine Füße dem schlammigen Boden nachgeben würde, als mich in der unaufhörlich umherschweifenden „Rationale“ meines Geistes zu verlieren. Glücklicherweise können Freund:innen uns auf die Erde zurückbringen und uns im Moment erden. Dies ermöglicht zumindest kurze Episoden nicht quantifizierbarer magischer Koexistenz, in denen Liebe, Freude, Wut, Traurigkeit und andere flüchtige Gefühle gehört, aufgenommen und verarbeitet werden können – mit all ihren beißenden Kräften." ¬ DM
Zehen sind faszinierend; sie sind gleichermaßen verführerisch, abstoßend und albern, aber sie verbinden uns auch mit dem Boden und verteilen unser Gewicht. Zehen reiben an den Schuhen, sie schwitzen in billigen Socken, manchmal bekommen sie Ballen, weil sie in enge High Heels gezwängt werden. Sie nutzen sich beim Tanzen, Gehen und Stehen ab. Lebensstile und -geschichten sind in den Füßen verkörpert und eingebettet. Darüber hinaus sind Zehen hochgradig kommunikative, tentakelartige Gliedmaßen, die historisch nicht nur äußerst oft symbolisch aufgeladen, sondern auch kontrolliert wurden. Insbesondere wenn man an die Füße von Frauen denkt und daran, wie sie behandelt wurden, können Zehen größere kulturelle und persönliche Geschichten erzählen.
Der Essay "Der große Zeh" des französischen Philosophen und Schriftstellers George Batailles aus dem Jahr 1929 beschreibt den Zeh als das menschlichste Körperteil, da er uns von unseren nächsten Primatenverwandten (Schimpansen, Bonobos, Orang-Utans usw.) unterscheidet: Deren Äquivalente zu unseren "große Zehen" ähneln eher zwei weiterer Daumen, die das Leben auf Bäumen erleichtern. Bataille schildert in dem Essay eine typische Binarität: einerseits unsere Füße, die im Dreck und Schlamm der Erde wühlen, und dabei die niederen, unterirdischen und höllenähnlichen Dimensionen darstellen, während andererseits unsere Köpfe dem Licht, dem astronomischen Himmel, wie auch dem göttlichen Himmelreich entgegenstreben und somit die erwünschte Richtung der Evolution – hin zur Vernunft des Menschen als höchster Ordnung – abbilden.
Damp Footnotes hebt diese Richtung auf: Wie die Fußnoten in einem Text verzweigt sich die Performance zu einer rhizomatischen, nicht-linearen Meditation über Zehen und Freund:innen, innerhalb welcher das Wissen, das durch Freundschaft verarbeitet und erschaffen wird, zu einer intimem und fußorientierten Erfahrung verwoben wird.
Damp Footnotes
– Ein Projekt von Dafna Maimon mit Victoria Camblin, Jessica Gadani, Leah Katz und Rosalind Masson
Performance, 2022
Dafna Maimon (FI/IL, geb. 1982 in Porvoo) ist eine in Berlin lebende Künstlerin, deren Praxis Performance, Video, Zeichnung und immersive Installation umfasst. Ihre Arbeit untersucht die Art und Weise, wie wir Erinnerungen, Stereotypen und traumatische Erfahrungen in narrativen Mustern verarbeiten, und skizziert gleichzeitig Strategien der Subversion und Selbstermächtigung. Insbesondere dekonstruiert ihre Arbeit patriarchale Strukturen und spielt mit ihnen durch Übertreibung und Neukontextualisierung. Die Untersuchung verschiedener Formen von Gemeinschaft und Zugehörigkeit ist ein weiteres Merkmal ihrer Praxis, ebenso wie die Umsetzung zeitintensiver und gemeinschaftlich verkörperter Prozesse. Ihre humorvollen und oft absurden Arbeiten dringen tief in die menschliche Geschichte und deren Gefäß – den menschlichen Körper – hinein, während sie nach neuen Perspektiven und Werkzeugen sucht, die Selbstreflexion, Stille und Katharsis ermöglichen.
Maimon hat ihre Arbeiten in Institutionen und Kunsträumen wie der Helsinki Biennale (Helsinki), dem KW Institute for Contemporary Art (Berlin), dem MoMA PS1 (New York), dem Kiasma Museum (Helsinki), dem Mahj Jewish Museum (Paris), dem Kim Center Contemporary Art (Riga), 1646 (Den Haag), der SPACE Gallery (Portland Maine) und der Galerie Wedding (Berlin) gezeigt. Maimon hat einen BFA-Abschluss von der Gerrit Rietveld Academy und einen MFA-Abschluss vom Sandberg Institute Amsterdam.